Issue
Category
Content
Text

Der Verwandtenunterstützungsanspruch einer volljährigen Person ist seit dem Inkrafttreten der ZPO bei einem Streitwert von mehr als 30 000 Franken im ordentlichen Verfahren gemäss Art. 219 ff. ZPO geltend zu machen, und nicht im vereinfachten Verfahren.

In einem von einer Gemeinde gegen die Eltern einer von ihr mit Sozialhilfe unterstützten volljährigen Person angestrengten Klageverfahren auf Bezahlung von Verwandtenunterstützungsbeiträgen hatte die Vorinstanz entschieden, gestützt auf Art. 329 Abs. 3 des Zivilgesetzbuches (ZGB) i.V.m. Art. 295 der Zivilprozessordnung (ZPO) seien Klagen auf Verwandtenunterstützung im vereinfachten Verfahren zu behandeln. Die Beschwerde führenden Eltern machten geltend, bei gegebenem Streitwert (d.h. mehr als Fr. 30 000; vgl. Art. 243 Abs. 1 ZPO) müsse das ordentliche Verfahren (Art. 219 ff. ZPO) angewendet werden. Mit dem Inkrafttreten der ZPO wurde Art. 280 ZGB aufgehoben, der den Kantonen für Streitigkeiten über die Unterhaltspflicht ein einfaches und rasches Verfahren vorgeschrieben hatte. Die ZPO ordnet Streitigkeiten um Verwandtenunterstützung keiner Verfahrensart ausdrücklich zu. Erwähnt wird sie einzig in Art. 26 ZPO, wo aber nur die örtliche Zuständigkeit geregelt wird. Das Bundesgericht hatte daher durch Auslegung zu ermitteln, nach welchem Verfahren Klagen auf Verwandtenunterstützung zu behandeln sind. Gesetzestechnisch geht es darum, ob sich Art. 329 Abs. 3 ZGB in solchen Fällen auf Art. 295 f. ZPO bezieht oder nicht. In der Lehre werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Das Bundesgericht gelangt insbesondere aufgrund der Entstehungsgeschichte des Gesetzes zum Schluss, dass solche Ansprüche Erwachsener im ordentlichen Verfahren gemäss Art. 219 ff. ZPO zu beurteilen sind. Wie es sich mit Ansprüchen minderjähriger Personen verhält, die selber Verwandtenunterstützung einfordern oder für die ein Gemeinwesen den Anspruch geltend macht, bleibt im Urteil aus Lausanne ausdrücklich offen. Die mit dem vereinfachten Verfahren verbundenen Abweichungen vom ordentlichen Verfahren dienen zunächst der Prozessökonomie sowie dem Schutz der schwächeren Partei. Sie sollen zudem das Verfahren allgemein laienfreundlich gestalten. Dass der Volljährige, der Unterhalts- oder Verwandtenunterstützungsbeiträge verlangt, keines solchen prozessualen Schutzes bedarf, wurde bereits in BGE 118 II 93 dargelegt. Klagt der volljährige Unterstützungsbedürftige selber, kann eine allfällige finanzielle Schwäche und prozessuale Unerfahrenheit durch unentgeltliche Rechtspflege und unentgeltlichen Rechtsbeistand ausgeglichen werden. Häufig klagt ohnehin eine Gemeinde, die in den Anspruch subrogiert ist. Es ist indes nicht Aufgabe des sozialen Zivilprozesses, öffentlichen Gemeinwesen zu ihrem Recht zu verhelfen. Ebenso wenig besteht in solcher Konstellation Bedarf nach einem besonders raschen Verfahren oder danach, die familiären Beziehungen möglichst wenig zu belasten. Schliesslich sind auch die Beklagten nicht schutzbedürftig, da die Klage nur Erfolg haben kann, wenn sie sich gegen eine Person richtet, die in günstigen Verhältnissen lebt (Art. 328 Abs. 1 ZGB). Aus all dem folgert das Bundesgericht, dass Art. 329 Abs. 3 ZGB für die Klage von volljährigen Unterstützungsberechtigten keinen Verweis auf Art. 295 f. ZPO enthält.

Art. 276, Art. 277, Art. 279, Art. 280, Art. 289, Art. 293, Art. 328 und Art. 329 ZGB; Art. 1, Art. 26, Art. 58, Art. 219, Art. 221, Art. 239, Art. 243, Art. 244, Art. 247, Art. 279, Art. 280, Art. 290, Art. 291, Art. 295 und Art. 296 ZPO

Text

(BGer., 3.07.13 {5A_689/2014}, Jusletter 2.09.2013)

Tags
Date