Liebe Leserin, lieber Leser
Die arabische Welt und der Nahe Osten bleiben nach wie vor in Aufruhr und der Rest der Welt hat nichts kommen sehen. Nach Jahren der Entbehrung und der Diktatur fanden unzählige Demonstrationen, Aufstände und Proteste statt. Wie lange muss ein Volk unter Hoffnungslosigkeit, Erniedrigung und Wut leiden, bevor es sich gegen eine Autorität auflehnt, die genau dieses Volk unter unerträglicher Armut leiden liess? Wann erreicht man den Punkt, an dem man zur Meinung gelangt, dass man nichts mehr zu verlieren hat, ja nicht einmal sein Leben?
Die Beurteilung der Lage ist je nach Land verschieden. Einige Völker, wie die Tunesier oder die Ägypter, erreichten den Sturz ihrer Regimes ohne zu viele gewaltsame Aufstände, andere hatten weniger Glück und mussten ihre Freiheit mit einem Blutbad erkämpfen.
Trotz bestens ausgestatteten Geheimdiensten haben weder die Amerikaner noch die übrigen Staaten des Westens irgendetwas vorausgesehen. Dabei wurden die allgemeinen politischen Wetterbedingungen immer instabiler, die Geburtenraten gerieten immer mehr ausser Kontrolle, der Reichtum wurde immer ungleichmässiger verteilt und die Spekulation auf Güter des täglichen Lebens sowie der immer grössere Einfluss des Internets schufen die Basis eines Aufstandes.
Die grosse Herausforderung, die sich nun an diese Völker stellt, wird es sein, diese gigantische Volksbewegung zu kanalisieren, sodass chaotische Verhältnisse oder Bürgerkriege vermieden und so schnell wie möglich freie Wahlen organisiert werden können. Diese Aufgabe wird eher schwierig, denn die bleiernen Regimes haben sich nicht damit begnügt, Spuren in den Köpfen und an den Körpern zu hinterlassen, nein, sie haben auch jegliche Opposition vernichtet. Es wird viel Zeit und Mut brauchen, eine echte Demokratie mit gerechteren Strukturen aufzubauen und dabei zu verhindern, dass einige extremistische Gruppierungen die Gelegenheit dazu nutzen, die Macht an sich zu reissen.
Der Westen hat sich darauf vorbereitet, mit noch nie gesehenen Einwanderungswellen fertig zu werden, friert die Guthaben der gefallenen Despoten ein, verhandelt mit den neuen Behörden und wendet zusätzliche Mittel für die Entwicklungsarbeit auf.
Armelle Godichet