Liebe Leserin, lieber Leser
In jüngster Zeit berichtete die Presse über die Panama Papers, aber auch über das harte Los der Whistleblower. In einem ganzseitigen Artikel stellte die französische Tageszeitung «Le Monde» am 26. April 2015 im Fall UBS Frankreich «die Milliarden Euro», die dank der Regularisierung von «Tausenden von Konten» dem Staat zugeflossen sind, dem traurigen Schicksal «jener, die geredet hat» gegenüber: Stéphanie Gibaud, alleinerziehende Mutter von zwei Jugendlichen, die von der Bank vor vier Jahren entlassen wurde, immer noch arbeitslos ist und der Zeitung zufolge mit dem Existenzminimum lebt. Laut «Le Monde» versteht die Betroffene nicht, weshalb der Staat nicht in der Lage ist, ihr den Schaden, den sie durch ihre Enthüllungen erlitten hat, zu ersetzen. Ihre Briefe ans Finanzministerium, an den Staatspräsidenten, ans Justizministerium und an den Ombudsmann zeigten keine Wirkung. Durch eine Anstellung beim französischen Staat hätte dieser ihr nämlich eine angemessene Gegenleistung für ihre Dienste und die ihm dadurch zugeflossenen Milliarden an Nachsteuern erbringen können. Dem geschah aber nicht so. Die Kader und übrigen Mitarbeitenden von Treuhandunternehmen sind von solchen Vorfällen ebenfalls betroffen. Am vergangenen 26. April wurde in Luxemburg der Prozess gegen Antoine Deltour, einen ehemaligen Rechnungsprüfer von PricewaterhouseCoopers, Raphaël Halet, einen ehemaligen Steuerberater bei PwC, und Edouard Perrin, einen Journalisten, eröffnet. In den Geschichtsbüchern wird man nachlesen können, dass diese Männer ein weitreichendes Steueroptimierungssystem, an dem multinationale Unternehmen und das Grossherzogtum beteiligt gewesen waren, aufgedeckt haben. «Le Monde» zufolge drohen Ersterem zehn Jahre Gefängnis und eine Busse von einer Million Euro in erster Linie wegen Verletzung von Geschäftsgeheimnissen. In Anbetracht der weitreichenden persönlichen Folgen für die Whistleblower hat das EU-Parlament nach intensiven Diskussionen eine Richtlinie genehmigt, die von den Journalisten den Nachweis eines öffentlichen Interesses verlangt. Angesichts dieser für unsere Tätigkeit als Treuhänder schwerwiegenden und wichtigen Ereignisse müssen wir uns darüber Gedanken machen, wie sich ein Unternehmen, das zu seinen Mitarbeitenden einen Whistleblower zählt, verhalten soll.
Wie soll sich ein Unternehmen in einem Whistleblowing-Fall verhalten?
Meiner Meinung nach wäre es sinnvoll, wenn jedes Treuhandunternehmen einen runden Tisch ins Leben rufen würde, um zu signalisieren, dass es sich der Möglichkeit, dass ein solcher Fall auftreten könnte, bewusst ist, und dass dieser gemäss einer festgelegten Vorgehensweise unter Abwägung der Interessen und Rechte aller Parteien behandelt werden sollte.
Pascal Montavon