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Die Art und Weise der Bewertung des Warenlagers, der angefangenen Arbeiten und der sonstigen Aktiven und Passiven in der Jahresrechnung wirkt sich entscheidend auf den ausgewiesenen steuerlichen Gewinn aus. Überspannen Sie bei der Anwendung des Vorsichtsprinzips jedoch nicht den Bogen …

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1. Urteil des Bundesgerichts vom 22. Mai 20131
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2
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In diesem Verfahren hatte das Bundesgericht über die steuerliche Qualifikation von stillen Reserven einer Aktiengesellschaft zu befinden, welche auf offensichtliche Fakturierungsrückstände zurückzuführen waren. Ausgangspunkt des Verfahrens war die Eröffnung eines Nach- und Strafsteuerverfahrens durch die Genfer Steuerverwaltung (vgl. auch das Urteil vom 31. Juli 2012 des Kantonsgerichts).2 Die Steuerverwaltung nahm in diesem Zusammenhang eine Aufrechnung in Höhe von 50 %3 der gesamten beanstandeten Rechnungsbeträge bzw. Debitoren sowie der angefangenen Arbeiten vor. Diese Aufrechnung bildete jedoch nicht Gegenstand der Beschwerde. Vielmehr richtete sich die Beschwerde der Steuerpflichtigen gegen die Qualifikation der Vorgänge als Steuerhinterziehung und gegen die hierfür verhängte Busse.

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2. Prozessuales
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2
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Im vorerwähnten Fall spielen die formalen Prozessvoraussetzungen eine zentrale Rolle, weshalb diesen nachfolgend besondere Beachtung zuteil wird.

Dabei ist wesentlich, dass im vorliegenden Fall für die betreffende Steuerperiode bereits eine rechtskräftige Steuerveranlagung vorlag. Für eine Revision mussten somit die einschlägigen Voraussetzungen für ein Nachsteuerverfahren vorliegen.4 Demzufolge bedurfte es der Kenntnisnahme von vormals nicht bekannten – aber bereits vorliegenden – Tatsachen oder Beweismittel durch die Steuerverwaltung, aus welchen sich ergeben hat, dass die rechtskräftige Veranlagung nicht rechtmässig oder vollständig war. Im vorliegenden Fall hatte die Steuerverwaltung solche Tatsachen offenbar erst bei der Prüfung der darauf folgenden Steuerperiode5 festgestellt.

Die Tatsache, dass die Steuerpflichtige in ihrer Jahresrechnung (Bilanz) keine angefangenen Arbeiten auswies, gereichte ihr sicherlich zum Nachteil; dadurch konnte sie keinen Ausnahmetatbestand6 anführen. Immerhin stellt sich die Frage, ob die Steuerverwaltung die im Rahmen der Steuerveranlagung geltende Untersuchungsmaxime rechtsgenüglich beachtet hat, oder ob sie es bei der ursprünglichen Veranlagung versäumt hatte, die Unregelmässigkeit aufzudecken und die Steuerpflichtige darauf hinzuweisen (hier: fehlende angefangene Arbeiten für ein Architekturbüro). Läge eine solche Missachtung seitens der Steuerverwaltung vor, würde dies eine Nachbesteuerung7 verunmöglichen.

Da das Gericht die Handlung der Steuerpflichtigen als vollendete Steuerhinterziehung8 qualifizierte, auferlegte sie der Steuerpflichtigen eine Geldbusse. Das Gericht entschied denn auch, dass die Steuerpflichtige vorsätzlich oder zumindest fahrlässig gehandelt hatte. Bei Vorkommnissen solcher Art neigt die Rechtsprechung dazu, die Absicht der rechtswidrigen Steuerhinterziehung zu vermuten. Die Wider­legung eines Vorsatzes gestaltet sich für die Steuerpflichtigen in der Regel schwierig. Im vorliegenden Fall lag der Vorsatz aufgrund der willentlichen Nichtverbuchung von angefangenen Arbeiten klar auf der Hand.

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3. Analyse – Angefangene Arbeiten
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2
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Die vorsätzliche Unterbewertung von Aktiva steht im Widerspruch zu den Grundsätzen ordnungsgemässer Rechnungslegung. Zwar ist die Bildung stiller Reserven im Rechnungslegungsrecht des schweizerischen Obligationenrechts nach Massgabe des Vorsichtsprinzips handelsrechtlich zulässig; in steuerlicher Hinsicht bedarf es aber einer Differenzierung: Wenn die Unterbewertung von angefangenen Arbeiten auf einer vorsichtigen Rechnungslegung gründet und dabei nicht zu einer unsachgemässen bzw. willkürlichen Bildung von stillen Reserven führt, muss dies rechtens sein. Aus einem solchen Vorgehen darf nicht ohne Weiteres auf einen Vorsatz des Steuerpflichtigen geschlossen werden, durch Inanspruchnahme eines Bewertungsermessens Steuern hinterziehen zu wollen. Dies gilt ganz besonders hinsichtlich betriebsinterner Aspekte wie beispielsweise der Frage, welche Kosten in die Bewertung des Selbstkostenpreises fliessen.

Demgegenüber verhält es sich anders, wenn der Steuerpflichtige seine Leistungen bereits erbracht und mithin schon in Rechnung gestellt hat. Werden solche Leistungen bzw. Ansprüche nicht oder nur sehr unvollständig bzw. unterpreislich verbucht, ist der Schluss auf eine beabsichtigte Steuerhinterziehung naheliegend. Es lässt sich folglich festhalten, dass die Steuerverwaltung die Beurteilung solcher Vorgänge massgeblich vom Verkaufspreis9 abhängig macht.

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4. Überlegungen – Rückstellung und Steuern
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Stille Reserven können sehr einfach buchhalterisch durch Überbewertung von (unsicheren) Verbindlichkeiten gebildet werden. Dies erfolgt in der Regel durch Bildung überhöhter Rückstellungen. Rückstellungen werden zur Deckung eines bereits im Abschlusszeitpunkt absehbaren, aber noch nicht abschätzbaren und folglich unsicheren Kostenrisikos gebildet. Es ist zum Zeitpunkt der Berichterstattung noch unklar, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmass sich ein Risiko realisiert.

Bezüglich der oben ausgeführten Thematik der nachträglichen Änderung von rechtskräftigen Steuerveranlagungen stellt sich die Frage, wie es sich diesbezüglich mit Rückstellungen verhält, wenn die Steuerverwaltung zu einem späteren Zeitpunkt feststellt, dass diese nicht gerechtfertigt waren.

Die Antwort ist grundsätzlich: Nein. Ein Nachsteuerverfahren kann nicht eingeleitet werden, sofern die Rückstellungen eindeutig in der Bilanz aufgeführt sind. Denn anders als bei nichtdeklarierten angefangenen Arbeiten kann die Berechtigung dieser ausgewiesenen Rückstellungen von der Veranlagungsbehörde in jeder Steuerperiode verifiziert werden; es fehlt keine Bilanzposition.

Kommt es dennoch zu einer Aufrechnung bzw. Auflösung einer unberechtigten Rückstellung, stellt sich die Frage, ob die sich daraus ergebende Gewinnsteuer abzugsfähig ist. Hierzu ist festzuhalten, dass die Rechtsprechung die Abzugsmöglichkeit nur für solche Steuernachzahlungen gewährt, die nicht Ausfluss einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung sind.

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5. Revision des Steuerstrafrechts
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2
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Der Entwurf des Bundesrates10 zielt insbesondere auf die Vereinheitlichung der Prozessabläufe in Anlehnung an das Verwaltungsstrafrecht ab.11 Somit soll, in Übereinstimmung mit dem ordentlichen allgemeinen Strafrecht, bei Steuerhinterziehungen, welche zugunsten einer juristischen Person begangen werden, die Strafe die dahinter stehende natürliche Person treffen, welche die Tat begangen hat.

Demgegenüber sieht das geltende Steuerrecht die Bestrafung der juristischen Person vor und schliesst die steuerliche Abzugsfähigkeit der auferlegten Bussen aus.

Für Betroffene sehen die geplanten Änderungen immerhin auch eine kleine Erleichterung vor, indem es für die Bussenfestsetzung keine Untergrenze mehr geben soll.

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6. Neues Rechnungslegungsrecht
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2
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Die Bilanzierung von nicht fakturierten Dienstleistungen und von Warenvorräten wird nunmehr leider klar zur Pflicht.12

Was die nicht mehr gerechtfertigten Rückstellungen betrifft, müssen diese buchhalterisch nach wie vor nicht zwingend aufgelöst werden.13

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7. Schlussfolgerung
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2
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Das Rechnungslegungsrecht und das Steuerrecht verfolgen unterschiedliche Ziele. Ungeachtet dessen sind die gemäss Obligationenrecht erstellten handelsrechtlichen Abschlüsse auch steuerlich ausschlaggebend – vorbehaltlich anderslautender Steuervorschriften.

Letztere sehen in der Regel die Auflösung nichtbegründeter stiller Reserven vor, was zu einem höheren Ertrag führt. Neben den Aufrechnungen können als Ausfluss einer geahndeten Steuerhinterziehung Bussen ausgesprochen werden. Die strafrechtlichen Folgen im vorliegend dargelegten Urteil können grundsätzlich in ihrer Rechtmässigkeit angezweifelt werden, weil in diesem Fall stille Reserven aufgelöst werden und im Endeffekt die Besteuerung nur aufgeschoben wurde.

Festzuhalten bleibt, dass bei fehlenden oder mehrdeutig bezeichneten Positionen in der Jahresrechnung sowie bei offenkundig nicht sachgerecht bewerteten Aktiven die Gefahr besteht, dass Steuerbehörden ein Nach- und / oder Strafsteuerverfahren einleiten.

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Der Autor äussert hier seine persönliche Meinung, die für die Kantonale Steuerverwaltung in keiner Weise bindend ist.

  1. 2C_907/2012.
  2. ATA/475/2012.
  3. Nach freiem Ermessen.
  4. Art. 151 ff DBG.
  5. Die 2006 ausgestellten und in diesem Geschäftsjahr verbuchten Rechnungen bezogen sich auf Leistungen, die 2005 getätigt wurden.
  6. Obwohl …
  7. RDAF 2012, S. 17.
  8. Für die Steuerperiode 2005.
  9. ASA 79, S. 1015.
  10. In Vernehmlassung bis 30. September 2013.
  11. SR 313.0.
  12. Art. 959a Abs. 1 Ziff.1 lit. d OR.
  13. Art. 960e Abs. 4 OR.
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